Hoffnung oder Hype?
Das 3D-Drucken, das auch als generative Fertigung bezeichnet wird, ist gerade in aller Munde. Aber wann erlebt das Verfahren den technischen Durchbruch und was ist dabei zu beachten? Anders Ericsson, Forschungs- und Entwicklungsleiter bei Seco, hat sich näher damit beschäftigt.Als Audi vor knapp einem Jahr ein 2:1-Modell des klassischen 1936er Grand-Prix-Wagens Auto Union Typ C vorstellte, entstand der größte Rummel gar nicht um das Auto selbst, sondern vielmehr um den Drucker. Das Fahrzeug war nämlich eines der ersten Autos aus generativer Fertigung – sprich: mit einem 3D-Drucker hergestellt. Gleichzeitig signalisierte das Unternehmen Audi, dass es mittlerweile neue Möglichkeiten zum Drucken komplexer Teile prüfe, um quasi „vom Pulver zum Festkörper“ zu kommen.
Audi ist nur ein Beispiel für die steigende Zahl an Einsatzmöglichkeiten für generative Fertigungsverfahren (kurz: AM für engl. Additive Manufacturing). Verfechter verweisen darauf, dass die Metallindustrie vom produktionsorientierten Design zur designorientierten Produktion übergehen könnte mit kürzeren Vorlaufzeiten für die Entwicklung neuer Produkte. Und dass sich neues Potenzial für die Herstellung von Komponenten mit komplexen Geometrien ergibt. Einige sprechen von einem Paradigmenwechsel in der Fertigung. Anders Ericsson, Forschungs- und Entwicklungsleiter bei Seco, möchte die wesentliche Bedeutung des Verfahrens für die metallbearbeitende Industrie etwas zurechtrücken.
„AM ist für viele unserer Kunden mit Sicherheit sehr interessant“, meint er. „In einigen Fällen kann es beispielsweise das Schruppen ersetzen. Eine Verdrängung der großen Mengen an Schlichtbearbeitungen ist innerhalb der nächsten 15 Jahre aber nicht zu erwarten.“
Vor 20 Jahren war man überzeugt, dass die konturnahe Formgebung als neues Produktionsverfahren Einzug halten und bis zu einem gewissen Grad die herkömmliche Metallzerspanung ablösen würde. Bei der Produktion entstehen nämlich Teile, die ihrer Endform sehr nahe kommen. Zwar wird in der gesamten Industrie heute in vielen Bereichen konturnah produziert, aber die von vielen erwartete Revolution ist ausgeblieben.
„Mit der generativen Fertigung verhält es sich heute ähnlich“, meint Ericsson. „Alle sprechen über das neue Verfahren, aber keiner weiß, wohin es wirklich führen wird. Trotzdem glaube ich, dass AM im Metallbereich größeres Potenzial hat als die konturnahe Formgebung, insbesondere weil AM gerade sehr erfolgreich bei komplexen Kunststoffteilen eingesetzt wird und die Digitalisierung für die Umsetzbarkeit ausschlaggebend sein kann.“
Bis jetzt kam AM vorwiegend in der Medizintechnik und teilweise in der Luftfahrtindustrie zur Anwendung und ist damit in die traditionellen Bereiche der Zerspanungsbranche vorgedrungen. Außerdem hat es sich in der Medizintechnik bei der Herstellung komplexer maßgefertigter Einzelteile (z. B. Prothesen und Implantate) als effektiv erwiesen.
„Andererseits wird es sich momentan kaum lohnen, AM für die Großserienfertigung von Metallteilen einzusetzen“, sagt Ericsson. „Die Stückkosten wären viel zu hoch. Richtig durchsetzen kann sich das Verfahren erst, wenn es 10 bis 20 Mal schneller arbeitet.“
Die Eigenschaften der Komponenten aus der generativen Fertigung sind laut Ericsson durchaus mit denen von Massivteilen vergleichbar. „Beispielsweise erzielt man gleichwertige Eigenschaften in puncto Biegesteifigkeit. Bei der Feinbearbeitung wird auf mikroskopischer Ebene aber deutlich, dass die Bearbeitungsstrategie angepasst werden muss, um effektiv bearbeiten zu können. Derzeit ist dieses Phänomen in etwa 30 Prozent aller Fälle zu beobachten.“
An diesem Punkt kommt Seco oft mit Kunden in aller Welt ins Gespräch, um die Herausforderungen mit der zerspanenden Bearbeitung hinsichtlich Werkstoffeigenschaften und Werkzeugauswahl aufzunehmen.
Ericsson rät dazu, auch das Träumen zu wagen und bei ausgewählten Produkten mit dem AM-Verfahren zu experimentieren. Selbst Seco setze bereits AM zur Herstellung von Metallteilen für die eigenen Produkte ein, argumentiert er.
„Seco betrachtet AM als Chance und als interessantes Verfahren für unsere Kunden. Wir sind uns bewusst, dass wir angesichts der umfangreichen Kompetenz von Seco im Bereich der zerspanenden Bearbeitung eng mit unseren Kunden zusammenarbeiten und ganzheitliche Lösungen vorschlagen können, die auch auf AM zurückgreifen und ein effizientes Produktionssystem gestalten.“